Schach Matt?
Ich habe ewig keinen Blogbeitrag geschrieben. Warum eigentlich und was habe ich in der Zwischenzeit gemacht?
Nun denn, ich habe vor allem Schach gespielt.
Schach war vor langer Zeit eines meiner Hobbys. Dann ging es vergessen und – wen wundert’s? – durch die Serie «Queen’s Gambit» fand ich zurück zum «königlichen Spiel».
Warum soll das relevant sein – für meine Community, die seit Monaten darbend auf ein Zeichen wartet, hihi -?
Erinnerst du dich an «War Games»? Ich meine den Film. Zwei Grosscomputer – heute würde man sie KI oder AI nennen – sind kurz davor (Kalter Krieg!) die Erde mit Nuklearraketen in die Luft zu jagen, weil sowohl der Sowjet-Russische als auch der US-Amerikanische Computer davon ausgehen, dass der Gegner oder die Gegnerin den «Atomaren Erstschlag» ausführen wird. Ein Junge rettet die Welt, indem er die Computer Tic Tac Toe gegeneinander spielen lässt.
Unnötiger Spoileralarm: Man kann das Spiel eigentlich nicht gewinnen. Die Supercompis erkennen das auch und folgern: «Aha, Nuklearkrieg kann man nicht gewinnen», und brechen ab. Planet gerettet!
Die Schlusspointe ist, dass der Supercomputer WOPR (War Operation Plan Response) seinen «Schöpfer» fragt: «How about a nice game of chess?»
«War Games», muss man sagen, stammt aus dem Jahre 1983. Witzigerweise (na ja, so witzig ist es nicht) stellt das Jahr 1983 genau die Mitte dar zwischen dem Jahr 2021 und dem Ende des 2. Weltkriegs. Auf beiden Seiten sind 38 Jahre vergangen.
Whaaaat? Wie krass ist das denn?
In vielerlei Hinsicht. Damals hatten wir an meinem Gymnasium gerade mal drei oder vier Computer, die den absoluten Nerds vorenthalten waren – also nicht mir! (Ich bin allerdings einer der am krassest verkannten Nerds ever! Insbesondere ich selber habe das viel zu spät bemerkt.) 1983 war gerade noch das MS-DOS Zeitalter. Und es ist sonnenklar: Die Entwicklung der Computer bis heute verlief alles andere als linear.
Um den Vergleich, Vergangenheit und Gegenwart, anschaulich zu machen, schau dir den Film «The Imitation Game» an, welcher den Kampf von Alan Turing und seinem Team im 2. Weltkrieg gegen die Verschlüsselungsmaschine Enigma von Nazi-Deutschland zeigt. Das ist Computing im mechanischen Bereich.
1983 waren Computer zwar nicht mehr wirklich mechanisch, aber ausschliesslich für Leute gedacht, deren höchstes Glücksgefühl im Lösen des Rubik’s Cube bestand. Ein aktuelles Smartphone kann in etwa so viel mehr als ein Computer von 1983 wie meine neue LED-Wahnsinns-Taschenlampe mit 3000 Lumen im Vergleich zur Armee-Taschenlampe von meiner Rekrutenschule. Die hatte, Irrtum vorbehalten, 2.5 Watt und leuchte den Weg vor dir gerade mal so weit aus, dass du nicht über die eigenen Füsse gestolpert bist.
[Okay, du hättest mit dem wirklich massiven Gehäuse der Armeetaschenlampe natürlich einen Feind (oder eine Feindin, sorry, aber damals gab es eigentlich keine Feindinnen im Militär!) im Kampf Mann gegen Mann (und eben nicht Mann gegen Frau oder vice versa – ich denke, langsam erschöpft sich das hier!) erschlagen können, falls er (oder sie, na ja, nun ist es nicht mehr lustig) unvernünftiger- und vor allem verbotenerweise den Helm abgenommen hätte.]1983 also haben sich vermutlich sehr wenige Menschen, zumindest nicht diejenigen, welche «War Games» produziert hatten, vorstellen können, dass Computer in verhältnismässig kurzer Zeit, den Menschen in Sachen Schach unschlagbar überlegen sein würden. Und damit ist die Pointe des Films – «How about a nice game of chess?» – hinfällig geworden.
Warum das?
Weil sich herausstellt, dass für selbstlernende Supercomputer – KIs eben – der Unterschied zwischen Tic Tac Toe und Schach immer vernachlässigbarer wird.
Damit sind wir zurück beim Schachspiel: Auch hier spielen zwei Opponent*innen gegeneinander. Der aktuelle Weltmeister, Magnus Carlsen, kratz mit seiner Wertung (salopp gesagt) so an den 2900 Punkten. Die stärksten aktuellen Schach-Engines kratzen, um das Wort im Kontext unpassend anzuwenden (sie haben ja keine Hände, haha), an den 3600 Punkten.
[Das mit den «Punkten» ist komplexer. Aber es gibt einen Eindruck der Verhältnismässigkeiten. Vereinfacht gesagt haben Menschen im Schach absolut kein Brot gegen KIs – obwohl der Weltmeister und seine direkte Konkurrenz Schach auf einem Wahnsinnsniveau spielen. Aber gegen die Schachengine ist das ungefähr so, wie wenn Sebastian Vettel in meinem alten Toyota gegen Fernando Alonso in seinem Formel-1-Boliden antreten würde – oder, wenn wir etwas in die Zukunft blicken -, gegen Larry5, dem stärksten selbstfahrenden Formel1-Boliden.]Nachdem also Menschen im Schachspiel keine Chance mehr gegen die Maschine(n) haben, ist der nächste logische Schritt: Lasst KIs gegeneinander antreten! Das ist bestimmt spannend.
Das ist es tatsächlich, denn die Engines spielen Schach von einem anderen Stern und es gibt auch einen Sieger. Der letztjährige Sieger hiess «Stockfish» und der versucht gerade seinen Titel im laufenden «Superfinal» der «Top Chess Engine Championship» gegen «Leela» in 100 Partien zu verteidigen. Der, die oder das Bessere möge gewinnen! Doch so einfach ist es nicht.
Würden die verantwortlichen Menschen die Maschinen ohne jegliche Modifikationen gegeneinander antreten lassen, würde es auch nach 100 Partien mit ziemlicher Sicherheit unentschieden stehen. Ab einem gewissen Punkt, würden die Partien immer genau gleich gespielt werden. Was für Menschen a) unmöglich und b) tödlich langweilig scheint, ist für eine KI absolut folgerichtig. Weil beide Schachengines für die jeweilige Stellung die optimalen Züge finden (in einer unglaublichen Tiefe berechnet), gibt es irgendwann keine Variationen mehr, weil die optimale Eröffnung zu den immergleichen nächsten optimalen Stellungen führt. Da es aus menschlicher Sicht total bescheuert ist, einen Wettkampf auszutragen, bei dem man unmöglich gewinnen kann, wird eben mit menschlicher Einmischung gespielt. Nur dann gewinnt eine Schachengine das Turnier, wenn auch äusserst knapp.
Schach ist am Ende also genauso sinnlos wie Tic Tac Toe, weil es unmöglich ist zu gewinnen – sofern der menschliche Faktor ausgehebelt wird.
Was also bleibt übrig vom Konzept «Gegner*in», von kompetitiven Situationen überhaupt?
Die Welt, sowohl im Grossen wie im Kleinen, hat in den letzten Jahren nach meinem Empfinden eine zunehmende Polarisierung erfahren: In absoluten Positionen verharren, Recht haben wollen, nicht nachgeben, «Die Anderen» beschuldigen, um jeden Preis gewinnen wollen, Macht ausbauen, Profit steigern, sich abgrenzen, sich in die eigene Blase zurückziehen, Schwarz oder Weiss.
Schattierungen von Grau gibt es höchstens noch als Buchtitel.
Dabei sind die eigentlichen Problemstellungen – um zurück zur Schachterminologie zu finden -, komplexer denn je. Nimm eine beliebige Statistik, zum Beispiel den jährlichen «Sorgenbarometer» eines grossen Schweizer Finanzinstituts (das zwar die Sorgen der Bevölkerung kennt, intern im Bereich Risiko-Managment aber gerade Totalschaden gemacht hat).
In egal welcher dieser Problemstellungen scheinen wir Oppositionen zu haben. Unverrückbare Positionen, definiert durch Eigennutz.
Ich habe letzthin ein nach meiner Ansicht spannendes Buch gelesen: «Hologrammatica» von Tom Hillenbrand. Darin geht es (Spoileralarm!) um eine KI, welche von den Menschen damit betraut wurde, eine Lösung für die Umweltkatastrophe zu finden. Die KI hat sie gefunden: Die Menschen müssen weg, nur so ist die Umwelt zu retten. Dagegen wehren sich die Menschen logischerweise. So sind sie als Menschheit vereint im Kampf gegen die KI, um dann zum eigentlichen Alltagsgeschäft – dem Zerstören der Umwelt durch Festharren in eigennützigen Positionen – zurückzukehren. (Ob das alle Buchrezensionen so formulieren würden, darf an dieser Stelle ohne Skrupel bezweifelt werden.)
Will ich nun vor KIs warnen? Weil sie am Ende die Weltherrschaft übernehmen?
Davor will ich nicht warnen – obwohl das nur logisch ist und früher oder später mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eintreffen wird. Die Menschen werden in nicht sehr ferner Zukunft in sehr vielen Bereichen kein Brot mehr gegen eine KI haben. Aber in diesem Blog soll es nicht um die Überflüssigkeit der Menschheit gehen.
Das Thema dieses Blogs ist: Gegnerschaft an sich.
Opposition, ist ein unbrauchbares Konzept. Denn es kann in letzter Konsequenz niemand gewinnen. Wenn niemand gewinnen kann, dann kann auch niemand verlieren. Also, wozu erst gegeneinander antreten? Das heisst, verlieren kann man schon. Aber nur, wenn man gewinnen will. Verzwickt, nicht?
Ich möchte das an einem Beispiel im Kleinen veranschaulichen: Der Paarbeziehung zweier Menschen. Solange diese beiden Menschen in gegenseitiger Wertschätzung als Gleichberechtigte die Klaviatur des Zusammenlebens mit allen Zwischentönen bespielen, geht es gut – obschon das Bild der Klaviatur, weil schwarz-weiss, in diesem Zusammenhang nur bedingt taugt. Wird das Paar in grundlegenden Dingen zu Opponent*innen, ist es vorbei.
Im Grossen ist es schlicht und ergreifend so, dass wir Menschen uns Opposition nicht mehr leisten können.
Nun, da ich das lese, wird mir schmerzlich bewusst, dass der letzte Satz geradezu als Freipass für autokratische und diktatorische Machtapparate missinterpretiert werden könnte. Es ist zum Verzweifeln. Wie kann man, ohne in die Opposition zu gehen, Machtmenschen dazu bringen, auf ihre Privilegien zu verzichten und zu Gleichen unter Gleichen zu werden? Wie kann man ehemals Unterprivilegierte davon abhalten, sich an Privilegien zu klammern, sobald diese endlich verfügbar sind?
Kannst du dir eine Welt ohne Mann- und Frauschaften vorstellen? Ja, kannst du dir eine Welt vorstellen, in der die Menschen nicht schon im Uterus auf die Eigenschaft männlich oder weiblich und die damit verbundene Wertigkeit reduziert werden? Kannst du dir eine Welt vorstellen, in der alle Menschen in gleichwertiger Koexistenz leben? Kannst du dir eine Welt vorstellen, in der es schlicht absolut keine Konkurrenz mehr gibt? Also auch keine Olympiade und noch nicht mal einen forking Jugi-Cup?
An dieser Stelle solltest du für die ganzheitliche Vertiefung den Song «Imagine» von John Lennon starten. 🙂
Aber voll aufdrehen, bitte!
Wir Menschen müssten, wenn ich mir das nochmal durchdenke, so unglaublich viele Konzepte über Bord schmeissen – und neue finden! -, dass es fast nicht zu glauben ist.
A propos Glauben: Es gäbe dann natürlich, ganz nach John Lennon, weder Himmel noch Hölle. Also nichts davon.
Womit logischerweise auch die Religionen obsolet sind, die Nationen, die Konzerne, tutti quanti, basta!
Es gäbe nur das Leben hier auf der einen Erde, die es für uns gibt, ein Leben das zu leben sich für alle Menschen lohnt und sie erfüllt.
Die Menschen hätten sehr viel Zeit für Musse, vermute ich.
Was würden die Menschen mit dieser Zeit anfangen?Vielleicht spielten sie die eine oder andere Partie Schach.
Einzig aus Gründen der Ästhetik, hihi!
[Bildcredits: Tom Zai, alle Rechte vorbehalten]