Die Weissen aus dem Abendland – ein neuer Stern am Firmament

Und die Engel kamen zu den Hirten und sagten zu ihnen: «Fürchtet euch! Denn der Hassias wurde euch geboren!»

«Oho», sagten die Hirten und nickten einander bedeutungsvoll zu, «da machen wir uns doch gleich auf den Weg, ihm unsere Aufwartung zu machen und ihm Geschenke zu bringen. Aber gell, liebe Engelein – lasset uns euch empfohlen sein – der Hassias liegt nicht in einem grauenhaften Stall mit Flüchtlingen, die ihre Babys in Futterkrippen legen, damit sie nicht im feuchten Stroh liegen müssen, oder?»

«Aber nein, oh, ihr Hirten auf dem Feld, die ihr die Schwarzen von den Weissen Schafen trennet, der Hassias lebt wegen seiner Heu- und Armutsallergie in einer Prime-Eigentums-Villa mit Blick auf eine Steueroase.»

«Judihui!», reifen die Hirten im Chor. «Auf geht’s!» Und sie beluden sofort ihre Viehtransporter und machten sich auf den Weg.

Zur gleichen Zeit blickte einer der Weissen aus dem Abendland durch ein Fernrohr und sah, dass ein neuer Stern am Firmament aufgegangen war: Der Genderstern. Der Weisse aus dem Abendland erschrak sich dabei sehr. Reflexartig versicherte er sich mit einem kräftigen Griff in den Schritt, dass ihm sein Titanwurz und die Eier aus Stahl nicht abhanden gekommen waren und sich ein Gender-Gap zwischen seinen Schenkeln aufgetan hatte. Erleichtert, dass noch alles am vom Gott gegeben Ort war, setzte er sich hin und hiess die Frau, ihm eine Stärkung zu bringen.

Als er sich gestärkt hatte, versetzte er die Frau mit einem Grummeln in den Stand-By-Modus und vernetzte sich, ohne weitere Zeit zu verlieren, mit seinen Followern auf dem Simplifizierungskanal. Ihnen musste er auch gar keine Zusammenhänge erklären. Sie wussten auch so, dass Aktion gefragt war.

Als erstes brachten alle ihre Kinder in Sicherheit und verboten den Frauen, das Haus zu verlassen. Ja, noch nicht mal nach draussen und schon gar nicht an den Himmel gucken durften sie, da es ihnen sonst ergehen würde wie dereinst Lots Weib:
Hinschauen.
Faktencheck.
Bumm!
Salzsäule.

Alsbald holten sie ihre Trycheln, die historischen Flaggen oder andere Insignien hervor, nahmen den Frauen weisse Leintücher aus dem Schrank, besprayten diese – also die Tücher, nicht die Frauen – mit Schnürlischrift, spannten die Armbrüste und die Kiefermuskeln und verluden alles in stadtgängige SUVs. Als sie über die Autobahn brausten, wünschten sie sich nichts sehnlicher, als ungestraft einen Klimakleber überfahren zu dürfen, den man bei dieser Geschwindigkeit beim besten Willen nicht hätte kommen sehen, bzw. kleben sehen.

Dazu wäre der Song perfekt von diesem – wie heisst er nochmal? – diesem lustigen Typen aus dem Kanton Zug, der so sauglatt auf die Fresse fallen kann, der mit den Augen rollt und sich so irrwitzig-schwuchtlig bewegen kann, der sich von niemandem vorschreiben lässt, sich gefälligst nicht als Indianerhäuptling, Rastaman oder Eingeborener (damit sind immer Afrikaner gemeint) verkleiden zu dürfen. Aber die Simplifizierten durften sich nun nicht ablenken lassen und hörten weder zeitgenössische Musik noch überfuhren sie 10, 9, 8, 7 … Klimakleber, sondern gar keinen. Sie hatten eine Mission.

Bereits machten Meldungen die Runde über Drag-Queens und -Kings, die sich in Bibliotheken als Vorleserinnen getarnt an unschuldige Kinder heranmachten. «Also Gas geben, Bros! Solange die da oben uns noch Gas geben lassen!»

Aber dann plötzlich Stau. Viehtransporter und SUVs soweit das Auge reichte. Es ging und vor allem fuhr fast gar nichts mehr. Und wenn, dann nur im Schritttempo – was die simplifizierten, wackeren Mannen sehr verunsicherte. Fahren im Schritttempo war so wenig vorgesehen wie Schreiten im Fahrtempo. Es war ein einzig Hupen und Schreien bis der schauderhafte Genderstern in eben diesem Moment aufging.

Mit einem Mal Schweigen auf den Autobahnen. Die Viehlader der Hirten und die SUVs der Simplifizierten legten sich Seite an Seite zueinander, aber nicht so, wie sich Männer nicht Seite an Seite legen durften, sondern wie Gott es vorgesehen hat, dass alle im Stau stehenden Autos sich Seite an Seite legten, wenn es sich denn ums Verrecken nicht vermeiden liesse.

Aber dann plötzlich Bewegung, und die Autoschlangen verliessen die Autobahnen. Alsdann fanden sich alle auf einer riesigen Wiese ein, liessen ihre Fahrzeuge stehen und strömten zu der Bühne, wo die Weissen aus dem Abendland geduldig warteten, bis sich alle eingefunden hatten.

Dann aber sprachen diese wie aus einer Zunge Klartext. Und der Klartext war von solcher Klarheit, dass selbst die Zaghaftesten unter den Hirten und die letzten Zauderer unter den Simplifizierten bereit waren, das grosse Opfer zu bringen, das von ihnen verlangt wurde, um den Fluch des Gendersterns zu bannen:

Die Weissen aus dem Abendland brauchten alle ihre Stimmen.

Also traten die Hirten und Simplifizierten der Reihe nach vor, fühlten die Heiligkeit ihrer Mission und gaben sie den Weissen aus dem Abendland. Es war das einzig Richtige, das einzig Wahre.

Natürlich hatten alle insgeheim gehofft, es wäre vorübergehend und sie würden ihre Stimme(n) irgendwann zurückbekommen. Aber das wäre wohl zu viel verlangt gewesen. Und so blieben jene, die dabei gewesen waren, fortan stumm, aber gleichsam überzeugt, dass dieses heilige Opfer nicht umsonst gewesen war.

Tom Zai Verfasst von:

Tom Zai ist Autor, Verleger, Lehrer, Moderator, Musiker und noch vieles mehr.