Ein Sprichwort hat mich schon immer etwas genervt, nämlich: „Morgenstund hat Gold im Mund.“
Erstens, ich kann mir die Morgenstunde einfach schlecht mit Mund vorstellen. Zweitens, ein Mund in der Morgenstund lässt mich nun wirklich nicht als erstes an Gold denken.
Zwischenbemerkung: Findet ihr es nicht auch immer etwas eklig, wenn die Leute in den Filmen am Morgen beim Aufwachen hemmungslos übereinander herfallen, ohne sich vorher ordentlich die Zähne zu putzen? Und die müssen nicht mal aufs Klo! – Ich meine immer noch davor! Ungeheuerlich: volle Blase, Modergeruch aus der Speiseröhre, aber geschminkt und paarungsbereit! Na ja, lassen wir das.
Also weiter mit drittens, ich bin keine „Lerche“ sondern eine „Eule“. So bezeichnet man Leute, die erst spät vormittags, ganz sicher aber abends so richtig in die Gänge kommen. Jeder Mensch soll entweder zum einen oder anderen „Chronotyp“ *) gehören. Als „Eule“ fühlt man sich immer ein wenig unzulänglich und auf der Verliererstrasse, ein Unschweizerischer Zeitverschwender, der sich nicht ums morgendliche Gold kümmert und so. Ja, die meisten „Eulen“ haben einen Minderwertigkeitskomplex.
Ein weiteres Sprichwort (sowohl in Deutsch wie in Englisch) besagt: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ Vermutlich handelt es sich um eine Amsel. Die Beatles haben es mit ihrem Song „Blackbird“ allerdings etwas auf die Spitze getrieben – „Blackbird singing in the dead of night…“ Ich frage: Ist das nun schon ein (sehr) früher Vogel oder immer noch ein später? Als bekennender Beatlesfan und bei einem meiner Lieblingssongs bin ich natürlich für letztere Variante. Immerhin geht es in dem Song um Freiheit.
Und hat bei diesem Vogel-Sprichwort schon mal jemand an die armen Würmer gedacht? Aus ihrer Perspektive heisst es: „Der späte Wurm wird bestimmt gefressen!“
Also liebe „Lerchen“, lasst uns „Eulen“ auch mal eine Chance im Leben. Und bitte – ich flehe euch an – stellt euch nicht auch noch ins grelle Licht am Morgen früh. Ihr steht so schon auf der Sonnenseite des Lebens!
Mehr zum Thema Licht und Frühaufsteher und die Benachteiligung von Eulen findet man in der Presse von dieser Woche oder zum Beispiel hier.
*) Die Leute, die herausfinden können zu welchem Chronotyp du gehörst, haben Chronotypologie studiert. Im Studium kann man auch noch ein Zusatzjahr Chronometrologie anhängen. Wenn man auch noch eine „Lerche“ ist, sich täglich mehrere Stunden mit grellem Licht bestrahlen lässt, schafft man es vielleicht ins erlesene Team der Chronometer, die während wichtigen Anlässen, wie zum Beispiel den Olympischen Spielen, die Zeit nehmen. Eulenartige Chronotypologen können sich zusätzlich zum Dendrochronologen ausbilden lassen und dann spät-abends Wachstumsringe antiker Hölzer datieren. Das grelle Licht der Schreibtischlampe lässt die forschenden „Eulen“ dabei zwar die Wachstumsringe besser erkennen, macht sie aber erwiesenermassen keinen Funken heller.