Sterbeplätze

 

Sie heissen „Tahrir“ oder „Maidan“ oder sonst wie. Vielleicht heissen sie sogar „Platz des Himmlischen Friedens“. Sie haben alle etwas gemeinsam.

 

Einfache Leute verloren da ihr Leben, damit andere einfache Leute ein einfacheres Leben führen können. So einfach ist das. Basta!

 

Wenn genug einfache Leute gestorben sind, übernehmen die besonderen Leute, posieren. Ich werde nie vergessen, wie z.B. Guido Westerwelle sich auf dem Tahrir Platz als Sieger des Arabischen Frühlings in Szene setze. Also ob er selber, seine Partei, die Deutschen, der Westen etwas bewirkt hätten. Westerwelle wird es womöglich „Support“ oder „Solidarität“ nennen. Ich nenne es: Gruppenkuschel, Egokraul in der Westen-Welle und, ja, Verlogenheit.

 

Ich war ja nicht da, um westliche Politiker zu zählen, als auf eben diesem Platz Frauen vergewaltigt wurden, politische Machtansprüche mit roher Gewalt gefordert, wieder Leute starben, der Arabische Frühling in den Winter überging und niemand mehr von Aufbruch und Sieg der Demokratie sprechen wollte – jener Demokratie, die von der EU im Allgemeinen, von den Deutschen im Speziellen und von Guido Westerwelle im Besonderen erfunden worden zu sein scheint – schien (2011!). Dennoch frage ich mich, wer hat auf diesen Plätzen etwas zu suchen, ohne sein Leben riskiert zu haben?

 

Aber ich habe gut reden, lebe in einem Land dessen letzte bewaffnete Auseinandersetzung fast hundert Jahre zurückliegt – Landesstreik 1918. Wie glücklich können wir uns schätzen?!

 

Ich denke in diesem Moment ganz einfach an all jene Leute, die für ihre Ideale gestorben sind. Gleichzeitig denke ich an all jene Leute, die genau diese Ideale und dieses Sterben für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Und ich verurteile sie.

Ich denke an „Les Miserables“, an den Revolution-Song, stellvertretend für alle anderen.

 

Ich denke an alle Freigeister, bin mit ihnen und hoffe, dass sie gewinnen werden oder dass ihr Tod nicht vergebens war.

 

Ebcosette

 

Émile Bayard [Public domain], via Wikimedia Commons

Tom Zai Verfasst von:

Tom Zai ist Autor, Verleger, Lehrer, Moderator, Musiker und noch vieles mehr.