Ich bin auf Google + gerade in eine Diskussion um den gesunden Menschenverstand verwickelt. Margert Nelson postete einen Beitrag (in Englisch) mit dem Statement: „Es haut mich um, dass wir Menschen es geschafft haben, all diese Jahrtausende zu überleben ohne die Apps, die uns sagen, was wir tun müssen.“ (frei übersetzt aus dem Englischen)
Hier der Link zur Seite, wo man (in Englisch) die neusten Neuigkeiten über nutzlose Apps und vor allem auch die Babywindel mit eingebautem Urinsensor erfährt.
Mich erinnert das Ganze an die Tamagotchis der 90er. Damals kümmerten sich Kinder um sinnloses Plastikspielzeug, als ob es sich um Lebewesen handelte. Heute kümmern wir uns um Lebewesen, als ob es sich um Plastikspielzeug handeln würde.
Was mich schockiert, ist dieser Realitätsverlust, die fehlende Relation zum wirklichen Leben. Schleichend kippt alles in eine virtuelle Welt, in der nicht wir sie bestimmen sonder sie uns.
War doch immer schon so, könnte man kritisch anfügen, das die (Um)-Welt uns bestimmt. Ich gebe recht, wenn man das tägliche Anschaffen von Nahrungsmitteln, das simple Aktion-Reaktion-Ding damit meint. Also das Konzept der Steinzeit. Mütter – ich gehe nun mal davon aus, dass Väter eher nicht die Babies betreuten damals – waren in der Steinzeit aber immerhin im Stande, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu verstehen. Genauso wie das heutige Mütter – und sogar Väter, da wir uns ja ein paar zehntausend Jahre weiterentwickelt haben – immer noch verstehen.
Ich gebe auch recht, wenn man die Natur an sich meint, die unser Leben bestimmt. Doch diese Apps zeigen doch auf eklatante Weise, dass es nun anders rum laufen soll. Am Ende dieser Entwicklung steht nur noch das Tamagotchi aber kein Baby mehr. Es sei denn, das „Fruchtbarkeits-App“, das „aber-jetzt-in-die-Pfanne-App“ oder das „Sims-5-App“ bewegen uns dazu, in „Real Life“ Körpersäfte auszutauschen.
Wozu brauchen wir eine Windel, die uns sagt, dass Pipi gemacht wurde? Verstehe ich nicht. Geht es hier darum, dass nachlässige oder umweltbewusste Eltern die Windeln zu wenig fleissig wechseln? Zu wenig Umsatz? Windeln nun also ganz nach dem bewährten Konzept von Druckerpatronen? (Stichwort „geplante Obsoleszenz“!) Was spricht gegen die gute, alte Augenkontrolle (Windel hängt = schwer = wechseln), die Tastkontrolle (schwer und klumpig = vollgepieselt = wechseln) oder die Schnuppermethode (lassen wir das!)?
Abgesehen davon: keines unserer drei Kinder fühlte sich je unbehaglich in vollgepieselten Windeln. Die nehmen Unmengen von Pipi auf, die Windeln. (Ich spreche immer von Wegwerfwindeln, gell? Ich weiss, dass bei Stoffwindeln andere Gesetze gelten.) Unsere Kindern konnten die Dinger praktisch am Boden nachschleifen, ohne sich je zu beschweren. Na ja, womit hätten sie sich denn bemerkbar machen sollen? So ohne App.
So idiotisch ich das Tamagotchi gefunden habe, es hat immerhin einen entscheidenden Vorteil gegen all die nutzlosen Dinge von heute: es verursacht einmal in seinem Leben gleich viel Abfall wie der Sensor einer „intelligenten“ Wegwerfwindel pro Pipi.
Ob Mami wohl das schnuckelige Tweepie auf dem Höschen mit dem Peepie gefällt?
Bild: The Guardian