Sarkasmus

Ich möchte gerne witzig sein, satirisch, schwarz-humorig oder einfach lustig. Aber es fällt mir schwer, was Schlaues (oder auch weniger Schlaues) zu schreiben. Alles was dabei herauskommt ist Sarkasmus. Und den hat gerade der «Mächtigste Mann der Welt», wie er genannt wird, für sich gepachtet, als Begriff missbraucht und somit als Stilmittel kaputtgemacht.

[Für den geschichtlichen Zusammenhang: Ich schreibe diesen Text am 26. April 2020, also kurz nachdem der lustige Donald im Weissen Haus das Verabreichen von Desinfektionsmitteln oder wahlweise auch viel Licht als Therapie gegen Covid19 vorgeschlagen hat.

Er, also der «Kriegspräsident», hat seine Aussage mittlerweile als «Sarkasmus» bezeichnet. Auch eine Möglichkeit Verwirrung zu stiften: Sarkasmus als Kommunikationsmittel in der Krise.]

Ich möchte gerne über die Abstandsregelung witzeln, die ab Montag in den endlich wiedergeöffneten Gartencentern und Baumärkten unserer Eidgenossenschaft funktionieren soll. Aber es will mir nicht gelingen, lustig zu sein und Spass daran zu haben.

Sorry, Menschen, die mehr als ein halbes Jahr in der Schweiz gelebt haben, können das einfach nicht: anstehen. Sie können das Anstehen auch nicht organisieren. Was dazu führt, dass es zwar insgesamt auf die Ladenfläche bezogen weniger Menschen hat, dort aber alle zu den attraktivsten Angeboten – also den Futtertrögen – strömen. Ist der Trog von mehreren Seiten zugänglich, setzt sich die helvetisch programmierte Anstehstrategie durch, die da heisst:

Dräng(l)e von allen Seiten gleichzeitig ans Ziel und verhandle bi- oder auch multilateral mit allfälligen Konkurrent*innen die a) dir was wegschnappen könnten oder b) die Abstandsregeln nicht einhalten. Setze im Notfall verbale, im absoluten Notfall körperliche (aber sanfte, gell!) Gewalt ein.

Vor meinem geistigen Auge sehe ich jenen Unglücksraben mit angelsächsischer Prägung oder gutmenschlicher Wahrnehmungsstörung, der drei geschlagene Stunden am Aktionsstand ansteht, ohne je hinzukommen. Endlich reisst der Strom der Menschen ab und er wagt es, näher zu treten ohne jemandem zu nahe zu treten. Da erkennt er dann auch, warum, das Gedränge keines mehr ist.

In unserem Land funktioniert das so:

Der Bund schreibt Abstandregeln vor, lässt aber zu, dass die Läden unwiderstehliche Aktionsangebote machen. 50% auf einen beliebten Wein, 44% auf ein Waschmittel, 33% auf die Trinkflasche, usw. Ist ja schliesslich freier Markt bei uns, oder? Da wird man doch wohl noch Lock(-down)angebote machen dürfen.

Kommt dazu:

Der Bund schreibt vor, die Kantone setzen um, indem sie alles durch ihre Verwaltungsstrukturen nach unten delegieren, bis eine arme Sau an der Front auf sich gestellt, zu geistigen Höhenflügen ansetzt und das Rad neu erfindet. Dann beobachtet der Kanton (wer immer das sein soll), mal, wie das rauskommt, leitet daraus ein Regelwerk ab und setzt, den bereits mit den Hufen scharrenden Amtsschimmel mit frischem Papierfutter wohlversorgt in Bewegung. Wenn, wider Erwarten, niemand an der Basis das Ei des Kolumbus erfindet, geht die Sache zurück an den Bund. Oder an eine Expertin oder einen Experten. Oder eine zuständig scheinende Interviewpartnerin oder einen -partner, also zum Beispiel die Präsidentin oder den Präsidenten einer Direktor*innenkonferenz. Sollte diese Person sich als unfähig entpuppen, wird sie kurz von den Medien verhöhnt und beansprucht in der Folge ihre Staatskarosse plus Fahrer*in deutlich weniger – was allerdings nur einen marginalen Einfluss aufs Klima und die Staatsfinanzen hat. Dafür hat sie mehr Zeit, sich um ihre zweite Karriere zu kümmern, und damit meine ich jetzt nicht die Staatskarosse, gell.

Ich habe vergessen zu sagen: Ich würde auch ganz gern über den Homo Administratus schreiben. Aber das würde furchtbar werden. Ein sarkastisches Gemetzel . Zu viel Tragik: Der verwaltende Mensch als Entscheidungsträger*in zu Krisenzeiten. Ich lass die Finger davon. Gerade, weil ja das Gesundheitswesen und die Bildung so wahnsinnig intensiv kantonal verwaltet sind.

Überhaupt würde ich gerne über „wir ziehen alle am selben Strick“, oder „wir sitzen im selben Boot“ oder „das ist nur gemeinsam zu schaffen“ schreiben. Es ist ja kaum zu glauben, wie schnell sich eine ganze Nation in lauter Fünfergrüppchen aufteilen lässt. Und dann sind natürlich die Schlagbäume ein Thema, gell. Ich habe gar nicht gewusst, dass die im kollektiven Gedächtnis noch so real verankert sind. Ganz im Gegensatz zur Idee „Europa“, die offenbar eine Idee geblieben ist, aber das perfekte Habitat des Homo Administratus, über den ich schon gesprochen habe und natürlich ein Tummelfeld für Nationalisten und Autokraten. Und darüber mag ich nun überhaupt gar nicht schreiben, noch nicht mal sarkastisch.

Ich würde ja auch ganz gern übers Klima schreiben – ich hab’s oben angetönt. Also darüber, dass wir erst alle Flieger wieder in die Luft bekommen müssen, um über Flugscham diskutieren zu können. Ist das jetzt Sarkasmus, das so zu formulieren? Oder ist es reine Logik?

Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, fallen bestimmt weitere Beispiele ein, über die Sie oder ich schreiben oder sprechen könnten, es aber lassen, weil es einfach zu unlustig ist.

Zurück zum Einkaufen:

Es gibt also zwei sich gegenseitig ausschliessende Botschaften:

Botschaft, Nr. 1 – Der Staat (wer immer das ist) sagt:

«Seid zurückhaltend und geht bitte nicht alle gleichzeitig in die Läden und wenn, dann nur zu Randzeiten oder wenn es ums Verrecken einfach nicht zu vermeiden ist, gell? Und wir vertrauen auch darauf, dass du, Bürgerin oder Bürger, nicht mehrfach durch den selben Laden spazierst, weil du pro Einkauf nur eine Schachtel Schutzmasken kaufen darfst.»

vs.

Botschaft, Nr. 2 – Der Grosskonzern (es gibt nicht viele davon) sagt:

«Kommt unbedingt in unseren Laden um einzukaufen und nicht in jenen der Konkurrenz, denn wir haben einfach die tollsten Angebote und kommen unserer geschätzten Kundschaft am meisten entgegen (aber innerhalb der Abstandsregel, also ausserhalb, gell). Und – das muss auch mal gesagt sein – wir lieben unser Personal und darum applaudieren wir nicht nur, wir geben ihm sogar Einkaufsgutscheine oder eine Sonderprämie oder zumindest einen virtuellen Händedruck, was ja auch die einzige wahre Botschaft unserer Werbespots ist, die wir extra nur für unser Personal so zahlreich geschaltet haben.»

Okay, ich geb’s zu, das klingt nun schon etwas nach Sarkasmus. Aber wer will schon genau wissen, was wer wann wie warum genau gemeint hat, oder?

Tom Zai Verfasst von:

Tom Zai ist Autor, Verleger, Lehrer, Moderator, Musiker und noch vieles mehr.