Hunger Games

Tribute von Panem

Nun bricht sie wieder los, die Ich-Muss-Diesen-Film-Unbedingt-Gesehen-Haben-Hysterie. Teil 2 von Teil 3, gewinnmaximierend umgesetzt. Das kennen wir schon von „Herr der Ringe“ und weiteren grossen Stoffen, deren eigentlicher Inhalt im Kino untergegangen ist.

Lange habe ich mich mit der Kritik am Buch zurückgehalten. Bücher schlechtmachen, liegt mir nicht. Nun muss es einfach raus.

Ich habe „The Hunger Games“ vor einiger Zeit schon im Original gelesen. Band 1 mit absoluter Begeisterung. Band 2 mit wachsendem Widerwillen. Band 3 mit Entsetzen.

In Band 1 ist ja alles angelegt: die ultimative Gesellschaftskritik, die alles von „Brot und Spiele“ der Römer (panem et circenses) bis hin zu den grossen Dystopien, siehe Wikipedia, abdeckt. Dabei kommt Hoffnung auf, dass Katniss eine Heldin ist, die tatsächlich mit so etwas wie Pazifismus und humanistischen Idealen zum Ziel kommt und das Ungerechtigkeitssystem der Gesellschaft überwindet. Das klassisches Liebes-Dreieck ist auch ausgesteckt. Darauf will ich hier gar nicht erst eingehen.

Dann mutiert die Geschichte immer mehr zum eigentlichen Action-Thriller. Das Gemetzel steht im Vordergrund. Die ultimative Casting-Show, ein tödliches KO-System wird immer ernster genommen. Trittbrettfahrer, wie die Macher von „Maze Runner“, haben das reflexartig verstanden und nach dem Vorbild von „Rollerball“ oder „Running Man“ umgesetzt. In Teil 3 von „Tribute von Panem“ ist keine Rede mehr von friedlichem Volksaufstand, etwas das an den Arabischen Frühling, die Vorkommnisse rund um das Tian’anmen-Massaker oder weitere pazifistische Friedensbewegungen erinnern könnte. Es ist eine Gewaltorgie, in der Katniss zur Soldatin wird und die Leser verstehen: Widerstand heisst Kämpfen bis zum Tod. Es ist die Reduktion auf das klassische Böse gegen Gut, wobei sich beide mit den selben Mitteln bekämpfen. Katniss selber wird vom Widerstand für die eigenen Zwecke missbraucht. Für subtile und reflektierte Gedanken findet sich kein Platz mehr.

Spätestens bei den Filmpremieren wird klar, dass die Geschichte sich selber pervertiert hat. Es geht um das Outfit der Hauptschauspielerin, als ob das Leben des Designers, des Friseurs, der Kosmetikerin vom Erfolg auf dem Roten Teppich abhängen würde. Mir ging ein eisiger Schauer über den Rücken, als ich das verfolgte und dabei an den Einzug der „Tribute“ denken musste.

Mir kam es beim Lesen der Trilogie so vor, als ob die Konsumindustrie, die Organisatoren der tatsächlichen Brot-und-Spiele-Kultur unserer Zeit, irgendwann im Laufe des Schreibprozesses eingegriffen hätten, um den Stoff des Buches für die eigenen Zwecke zu missbrauchen. Wie können die Hype-Macher Stoffe bringen, die ihre eigene Motive aufdecken? Natürlich ist das eine haltlose Unterstellung. Wenn mich jemand verklagt, werde ich sofort widerrufen.

Ich behaupte, dass nachhaltige und tiefgreifende Gesellschaftskritik nur scheinbar inszeniert wird, um uns darauf vorzubereiten, dass wir letztlich keine Wahl haben. Entweder fügen wir uns oder wir schlagen mit den selben Mitteln zurück, was uns zu Verrätern unserer eigenen Ideal macht. Die Lektüre von „The Circle“ hat meinen Eindruck bestätigt.

Es gibt positive Beispiele. Sie werden ausnahmslos spät nachts gespielt oder gar nicht. Einer meiner Lieblinge ist „Fahrenheit 451“ . Der krasseste Film für mich überhaupt ist „Death Watch“ mit Romy Schneider und Harvey Keitel, den ich seit 1984 nie mehr im Fernsehprogramm entdeckt habe.

So versuche ich mir Band 1 von „The Hunger Games“ zu bewahren und entwickle meine eigenen Phantasien, wie der Unterhaltungs- und Informationsindustrie, die sich in den Dienst der Konzerne stellt, Einhalt geboten wird.

Tom Zai Verfasst von:

Tom Zai ist Autor, Verleger, Lehrer, Moderator, Musiker und noch vieles mehr.