Ich betone wiederholt, dass ich kein Literaturkritiker bin. In erster Linie deswegen, weil es mir keine Freude macht, Literatur zu kritisieren. Also schreibe ich einfach dann und wann über ein Buch, wenn mir eines speziell gefällt.
Natürlich, auch ein positives Feedback, ein Lob, ein Kompliment ist ein Urteil und sagt grundsätzlich etwas über mich aus – nämlich, dass ich mich als kompetent genug betrachte, ein Echo abzugeben.
Wenn man mir das zum Vorwurf machen will – na gut. Was aber, so frage ich, kann ich denn schon an Schaden anrichten, wenn ich meine Freude über ein Buch in die Welt (in meinem Fall eine recht kleine) hinausposaune? Ich hoffe keinen. Bestimmt aber weniger, als ein unbedarfter Verriss – wie zum Beispiel jener im Bieler Tagblatt vom 28. Februar ’13. (Ups, jetzt schreibe ich schon einen Verriss über die Buchbesprechung einer Journalistin, die einen Verriss schreibt und dies, obschon ich eben behauptet habe, dass ich keine Verrisse schreibe! – Rubrik: Ist Ihnen auch so schwindlig?)
[Wer übrigens wirklich mal einen Verriss lesen möchte, der seinen Namen verdient, sollte unbedingt diesen Artikel von Christian Schmidt, Klopfers Web, lesen. Da bleibt kein Auge trocken.]
Also richten wir endlich den Fokus auf das Buch, Mord in Switzerland, des Appenzeller Verlags. „Fokus“ ist ein gutes Stichwort, ist es doch der Titel von Karin Bachmanns Geschichte, einer der 18 Kurzkrimis der Anthologie, herausgegeben von Mitra Devi und Petra Ivanov.
Um es vorwegzunehmen: ich finde dieses Buch eine mörderisch gute Reise quer durch die Schweiz, vom Vorwort bis zur letzten Geschichte. Wie der Fingerabdruck auf dem gelungenen Cover bietet „Mord in Switzerland“ immer wieder Gelegenheit, sich zu identifizieren. Man kann sich die Sache einfach machen – wie die Journalistin des oben erwähnten Zeitungsartikels – und die Toten zählen, um das Buch zu beurteilen. Sie kommt zum Schluss, dass zu wenig gestorben wird. Zu wenige Tote. Wenn man dieses Buch tatsächlich nach der Quantität der Toten beurteilen will, na ja. 18 Krimis = mindestens 18 Tote, also Mordopfer?
Logo, gibt es Tote und da sind auch Mordopfer darunter. Aber das Geniale an dieser Anthologie ist die Subtilität, ist das, was in den Köpfen passiert – sowohl in jenen der Lesenden als auch in jenen der Protagonisten. Dabei wird fast kein Thema ausgelassen, das von der Gesellschaft in den Giftschrank weggesperrt worden ist.
Menschliche Abgründe und Schicksale treffen uns stärker, je näher sie an unserer eigenen Realität sind. Dies ist eine weitere Stärke von „Mord in Switzerland“: der Lokalbezug. An sich ist in der Schweiz ohnehin fast alles lokal. Deswegen identifiziere ich mich problemlos mit allen Geschichten von Lausanne bis Rodels, von Schaffhausen bis auf den Tödi, von Basel bis in den Wartau. Dennoch stellt jede einzelne einen Fingerabdruck der Gegend dar, wo sie angesiedelt ist. „Mord in Switzerland“ ist ein durch und durch föderalistisches Werk, gespickt mit Lokalkolorit und doch aus einem Guss.
Was mich am meisten fasziniert: eigentlich sind das 18 Romane in einem Buch. Zumindest haben die Geschichten das Zeug dazu. Stelle ich mir die Dimensionen eines solchen Werks vor, denke ich nicht mehr an eine Anthologie sondern an eine Enzyklopädie – eine umfassende Abhandlung menschlicher Unzulänglichkeiten, typisch für unser Land, für unseren Kanton, unsere Region, unser Dorf. Die Wahrscheinlichkeit, sich in der einen oder anderen Figur wiedererkennen, ist ziemlich gross.
Ich war an der sympathischen Vernissage in der Alten Stuhlfabrik in Herisau mit dabei. Höhepunkt jener Veranstaltung war die letzte Geschichte von „Mord in Switzerland“, die „zum Vorlesen gedacht“ ist. Susy Schmid, bestens bekannt vom „Schreckmümpfeli“, schaffte es, das Publikum derart ins Geschehen mit einzubinden, dass es froh war, lebend zu entkommen.
Ich würde gerne alle 18 Geschichten und deren Autorinnen und Autoren einzeln würdigen. Leider würde das den Rahmen sprengen. So möchte ich einfach allen gratulieren. Jede einzelne Geschichte hat mich gefesselt, berührt und an einen bestimmten Punkt der Schweiz mitgenommen, in die jeweils ganz spezielle Lebenssituation einer Hauptfigur. Das treffendste Adjektiv, das mir dazu im Moment einfällt, ist DICHT.
Eine Kurzgeschichte bietet nicht viel Raum, da muss die Geschichte dichter gewoben werden als im Roman, die Fäden straff geführt und eng verknüpft. Dazu braucht es, wie der Name sagt, DICHTer und DICHTerinnen. Trotzdem sind die Plots nicht etwa einfach gestrickt – ist ja auch nicht das selbe wie weben, kann man mich belehren. Ja, ich gebe zu, vom textilen Handwerk verstehe ich zu wenig.
Mitra Devi und Petra Ivanov verstehen mit Sicherheit mehr davon, waren es doch sie, die die Fäden bei diesem fantastischen Projekt in der Hand hielten und, wie mir Beteiligte erzählt haben, zusammen mit dem Verlag äusserst professionelle Arbeit leisteten. Es versteht sich von selbst, dass auch sie ihren persönlichen, unverwechselbaren Fingerabdruck im Buch hinterlassen haben.
So, nun hoffe ich, dass alle, die bis hierhin durchgehalten haben, davon überzeugt worden sind, „Mord in Switzerland“ lesen zu müssen.
Ob ich doch eine Lieblingsgeschichte habe?
Jepp, die habe ich. Es ist jene, die mir sowohl geografisch als auch emotional am nächsten ist – gleich auf der anderen Seite des Regenbogens …
Nein, da geht es nicht um „den Zauberer von Oz“, eher um die „Zauberin vorm Schloss“ oder, wenn schon, um einen völlig anderen Song oder einen völlig anderen Film.
Genug Kryptisches! Hier nochmal im Klartext:
LEST DAS BUCH!