Kindergeburtstag – Schimmelreiten

 

Gestern ist unser Ältester 18 geworden. Seinen letzten Kindergeburtstag haben wir im engsten Familienkreis gefeiert.

 

Kindergeburtstage sind ja grundsätzlich freudige Ereignisse und ich darf mich glücklich schätzen, dass wir von den dazugehörigen Partys bis dato ziemlich verschont geblieben sind. Nächsten Samstag geht es dann allerdings doch im grösseren Stil (mit lauter Erwachsenen) so richtig schweinisch zur Sache. Doch das ist eine andere Geschichte und nichts für allenfalls vegetarische Leserinnen und Leser.

 

18! Auf einen Schlag erwachsen: das ganze Ersparte gehört plötzlich dir ALLEINE und du kannst dir die volle Dröhnung des Lebens absolut legal reinziehen!

 

18! Auf einen Schlag wird alles teurer. Allein die Krankenkasse kostet über Nacht etwas über 200 Franken mehr (pro Monat, nicht pro Nacht – das gilt nur für Hotelbetten der gehoberen Art, aber nicht einmal für Spitalbetten der untersten Kategorie).

 

Ich will aber nicht über das Geld jammern, sondern mich dazu äussern und laut BEKLAGEN, dass nun, nach 18 Jahren – in Zahlen ACHTZEHN! – tatsächlich der Staat dahergelaufen kommt (na ja, er „läuft“ ja nicht wirklich, sondern galoppiert, trabt oder schreitet in diesem Fall …) und die Existenz unseres Sohnes in Zweifel zieht. Und das geht so:

 

der galoppierende Amtsschimmel

 

Unser Sohn bekommt Post vom Einwohneramt unserer Wohngemeinde. Es stellt fest, dass er nun erwachsen ist. Weil jede Person, die sich in einer Gemeinde neu niederlässt, da den sogenannten Heimatschein niederlegen muss, wird er aufgefordert, sich einen solchen bei seiner Bürgergemeinde zu beschaffen. Das entsprechende Formular ist netterweise dem Schreiben beigelegt.

 

Da unsere Familien seit Jahrhunderten unglaublich, ja geradezu beängstigend ortsgebunden leben, befindet sich der Heimatort nur ein Viertel Tagesritt in östlicher Richtung unseres Wohnortes.

 

Dahin schickt also unser Sohn das schriftliche Begehren für einen Heimatschein. Unser Bürgerort hat aber, genau wie unsere Wohngemeinde, gar kein eigenes Zivilstandsamt mehr. Dieses wurde ausgelagert (outgesourced) und befindet sich nun nicht ganz in der Mitte der beiden Gemeinden. Die avisierte Bürgergemeinde schickt also besagtes Formular umgehend zurück an jene zentralisierte Stelle, an der ein virtueller Bote eben vorbeigaloppiert ist. Und – die aufmerksamen Leserinnen und Leser haben es kommen sehen – ja!, es ist genau die selbe Stelle, an der auch unser eigenes Zivilstandsamt ausgelagert worden ist (Distanz ca. ein Fünftel Tagesritt nach Osten).

 

Besagtes Zivilstandsamt brennt nun also darauf, den Heimatschein auszustellen. Zuerst schickt es aber eine Rechnung von 32 Stützli und wird das begehrte Dokument vermutlich erst nach Erhalt des Geldes schicken. (Ich wage nicht daran zu denken, wo das Inkasso gemacht wird. Womöglich in einem Drittweltstaat oder sogar in der Kantonshauptstadt!) Und genau da – nämlich in St.Gallen – könnte man Beschwerde gegen die Gebühren einlegen (Sachverhalt, Begründung, Beweismittel und so weiter, und so fort …). Dies wird uns in der so selbstverständlich gewordenen Rechtsmittelbelehrung deutlich gemacht.

 

Nun ein kurzer Blick in die Zukunft: Unser Sohn – der das ja nun selber tun müsste – wird keinen Rekurs gegen die Gebühren einlegen und die 32 Franken aus unserem Portemonnaie bezahlen. Dann wird das Zivilstandsamt *) sofort aktiv und sendet den Heimatschein. Diesen wird unser Sohn unterschreiben und auf das Einwohneramt unserer Wohngemeinde bringen, wo er dann – endlich, nach all den Jahren vergeblichen Wartens – als neuer Einwohner der Gemeinde herzlich willkommen geheissen wird. Damit dann auch das regionalisierte Zivilstandsamt weiss, wo dieser noch ledige, gutbetuchte, junge Mann auf eine heiratswillige Tochter aus gutem Hause wartet, wird dieses unverzüglich in Kenntnis gesetzt. Der Kreis schliesst sich, die Katze beisst sich in den Schwanz, der Schimmel wiehert und einmal mehr zeigt sich, wie effizient doch unsere Stellen durch die Regionalisierung geworden sind.

 

Leute, ist es nicht schön, dass wir in der Schweiz, trotz elektronischer Datenerfassungssysteme und superschneller, elektronischer Übermittlung den meditativen Weg der Langsamkeit, die Pilgerfahrt von Amt zu Amt noch nicht verlernt haben? Das ist so etwas wie der Jakobsweg für Neumündige.

Denn, wer mitgerechnet hat, der (oder die) sieht, dass total dann doch etwa ein ganzer Tagesritt zusammengekommen ist.

 

Aber, für eines werde ich sorgen: dass unser Sohn auch eine Einladung zum jährlich stattfindenden Apéro der Gemeinde für Neuzuzüger erhalten wird!

 

*) Das „Lustige“ ist ja, dass der Zivilstandsbeamte, der von unserer Wohngemeinde an die regionale Stelle versetzt worden ist, genau die selbe Person ist, die seinerzeit die Geburtsurkunde ausgestellt hat und somit einer der ersten Offiziellen ist, der die Existenz unseres Sohnes bezeugte. Er ist ein äusserst sympathischer Mensch und kann selbstverständlich nichts dafür, dass der Amtsschimmel neben vielen nützlichen Dingen auch Mist produziert.

 

 

 

 

 

 

Bild: Dries Buytaert auf http://buytaert.net/album/birthday-axl-2011/birthday-cake-2 Creative Commons Lizenz http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/

 

 

 

 

 

 

Tom Zai Verfasst von:

Tom Zai ist Autor, Verleger, Lehrer, Moderator, Musiker und noch vieles mehr.