Ich beschäftige mich schon eine ganze Weile mit dem Thema Glück, im Sinn von glücklich sein, aber auch von Glück haben.
Glück – im Sinn von „Schicksal“ – ist das zentrale Thema meiner Bücher „Eisenhut“ und „Fortunas Rad“ (in Arbeit). Es ist kein Zufall, dass der Protagonist Werner Schmid heisst („Jeder ist seines Glücks Schmied“).
Die Redensart „Das Glück erzwingen“ hat mir zwar nie wirklich gefallen. Aber sie drückt wohl aus, dass Leute mit Zielen, Perspektiven, einem passenden Umfeld, positiver Einstellung, usw. eher Erfolg haben.
Zu diesem Thema habe ich einen faszinierenden Vortrag von Gerhald Hüther gefunden.
Er spricht an der zweiten Konferenz des Denkwerks Zukunft, unter dem Motto „Weichen stellen. Wege zu zukunftsfähigen Menschen“, in Berlin am 15. Januar 2011.
Hier der Kontext, sinngemäss wiedergegeben – Zitate in Anführungs- und Schlusszeichen sind von Gerhald Hüther:
Alle Menschen machen im Mutterleib zwei Grunderfahrungen: Wachsen und Verbundensein.
Daraus entstehen zwei Grundbedürfnisse:
1. sich entfalten zu können, zu einem autonomen Individuum und
2. mit anderen Menschen verbunden zu sein, Wertschätzung zu bekommen.
Immer, wenn man sich für etwas begeistert, wird die „Giesskanne“ mit dem „Dünger“ (neuroplastische Botenstoffe) aktiviert und „düngt“ die gerade benutzte Hirnregion.
„3-Jährige begeistern sich 50 bis 100x am Tag. Das bedeutet das die Hirnregionen praktisch dauergedüngt werden.“
„Ja, und dann kommen sie in die Schule …“
An dieser Stelle lacht das Publikum. Ich werde darauf zurückkommen – in einem späteren Blog.
Oft machen die Kinder (natürlich auch Erwachsene) die Erfahrungen, dass es nicht möglich ist, die beiden Grundbedürfnisse zu befriedigen.
„Wenn man das, was man braucht, nicht kriegen kann, nimmt man das, was man haben kann. Jedesmal, wenn das gelingt, ist man ein bisschen froh. … Das Belohnungzentrum geht an. …“
Am Beispiel eines 85-Jährigen Deutschen, der sich in eine 65-Jährige Chinesin verliebt, schildert Hüther, dass Chinesisch lernen, wie auch alles andere (neue Denkweisen zum Beispiel) nicht vom Alter abhängig ist. Wenn man nichts mehr dazulernt, hängt es damit zusammen, dass die Fähigkeit, sich zu Begeistern, abhanden gekommen ist oder nur noch zweimal im Jahr „an Ostern und Weihnachten“ stattfindet.
Wenn man sich im Alter schwertut mit Lernen, „hat man kein hirnorganisches Problem sondern ein Begeisterungsproblem.“
Macht man nun negative Erfahrungen beim Prozess, frei und autonom zu werden, beim Bestreben, die beiden Grundbedürfnisse zu erfüllen, greift man zu Erstatzbefriedigungen.
„Es gibt eine ganze Industrie, die wartet nur darauf, dass es möglichst viele Menschen mit möglichst vielen ungestillten Bedürfnissen gibt. Weil die halten die Wirtschaft am Laufen. Das heisst, wir brauchen Kindheiten, in denen die Kinder unglücklich gemacht werden, wir brauchen Kindheiten, in denen die beiden Grundbedürfnisse der Kinder nicht erfüllt werden, weil wir sonst hinten keine Konsumenten hätten, die den ganzen Schrott kaufen, den niemand braucht – wenn’s ihnen gut geht.“
Genau das ist der Punkt.
Tom Zai
Bild: Creative Commons License – Lainey’s Repertoire