„Da fehlen mir die Torte!“, empörte sich Stephan.
„Es heisst ‚fehlt‘ – Singular, die Torte“, wies ihn Jessica zurecht.
Er betrachtete sie so, wie man Fliegendreck an einer Scheibe betrachtet und arbeitete an seinem nächsten Satz. Sie kam ihm zuvor.
„Ohne Worte! … Ha!“ Sie nippte an ihrem Latte Macchiato.
Allein die Art, wie sie „Macchiato“ aussprach – nämlich so wie man „Maggi“ aussprechen sollte – brachte ihn zur Weissglut. Hundertmal hatte er ihr schon erklärt, wie man die Dinge phonetisch korrekt artikulierte. Aber wie sollte man zu jemandem durchdringen, der nicht mal den eigenen Namen richtig hinbekam. Sie konnte nichts dafür. Ihre Eltern hatten sie verdorben.
„Jesses Gott!“, hatte er bei ihrem ersten Treffen gesagt, als sie sich ihm vorgestellt hatte. „Das ist, also ob man Jassen mit Jazz verwechseln würde, bloss umgekehrt. „Yes, i kha. Klingt, wie wenn ein Liechtensteiner versucht, Barack Obama zu imitieren.“
Das war der Anfang gewesen von ihrer Hassliebe. Seither liess sie keine Gelegenheit aus, ihn zurechtzuweisen.
„Na, gibt’s nun Torte oder nicht?“, drängte er weiter.
„Du bist so schon dick genug, findest du nicht?“
„A propos ‚dick‘, willst du shoppen oder ist es dir noch zu früh?“
„Du bist so ‚was von ordinär!“
Sie blätterte in einer Zeitschrift.
„Ist eh zu spät“, meinte Stephan.
„Hein?“
„Es ist schon fast 17 Uhr.“
„Und?“
„Frühschoppen geht nur bis Mittag.“
„Du machst mich wahnsinnig. Sie verdrehte die Augen, seufzte und befeuchtete dann ihren Finger, damit sie besser umblättern konnte.
„Man wird bestimmt keine Probleme haben, deine DNA-Spuren durch die ganze Stadt zu verfolgen – vom Bahnwaggon, zum Friseur, ins Café, durch den Park und dann nach Hause, eine einzige Speichelspur.“
„Wenn wir schon dabei sind, hast du deinem Chef endlich die Meinung gesagt?“
„Wie kommst du denn jetzt darauf?“
„Du bist eben ein Speichellecker!“
„Na, wer ist nun ordinär hier?“
„Wie mir diese Sonntagnachmittage zuwider sind! Du ödest mich an!“
Sie schmollte. Er grollte. Aber ihm fehlte ihre Ausdauer.
„Willst du dich schon versöhnen?“, machte er das Friedensangebot – um Zeit zu sparen.
„Nein, ist mir doch zu früh.“
Bild: Pierre-Auguste Renoir [Public domain], via Wikimedia Commons