Ich habe beschlossen, die Fortsetzung von „Zufallshelden“ gegen Weihnachten 2016 selber herauszugeben. Hier schon mal ein Appetizer völlig aus dem Zusammenhang gerissen:
Frühstück mit Valérie
Frühstück mit Valérie war auch nicht mehr das, was es mal war. Sauertöpfisch starrte sie vor sich hin und betrachtete Peter, als ob er ein Aasfresser wäre. Kaffee war natürlich tabu. Auch für ihn. Also gab es Tee und Brot. Butter drauf wurde gerade noch knapp akzeptiert. Konfitüre war ein No-Go. Jedes Mal, wenn er einen Happen kaute, schluckte Valérie schwer. Ihr Schnaufen ging langsam in ein Schnauben über. Dann fing sie an, den Kopf zu schütteln. Irgendwas war da im Busch. Peter spürte es. Sie hatte etwas von einem Vulkan, etwas Eruptives. Sie würde ihm nächstens etwas entgegenschleudern.
Valérie hörte auf, den Kopf zu schütteln und fixierte ihn mit diesem Mutterblick, den sie neulich draufhatte.
„Ich fasse es nicht!“ Dann wieder Kopfschütteln. Dann wieder Fixieren. Peter hatte zu kauen aufgehört und verlagerte einen Fuss ganz leicht in Richtung Türe, die natürlich offen stand. „Du hast es fallen lassen!“
Ah! So also lief der Hase. Der Babykurs vom Vorabend. Den hatte er schon erfolgreich verdrängt gehabt.
„Ich habe es nicht fallen lassen. Es ist mir entglitten. Zu viel Babyöl.“
„Peter! Du hast ein Baby aus einem Meter zwanzig auf den Kopf fallen lassen!“
„Es war eine Puppe, Schatz. Eine Puppe, Herrgott!“
„Du kannst nicht mal ein Baby wickeln, ohne es fallenzulassen. Ich fasse es nicht!“ Sie fing wieder an zu schnauben.
„Das hast du schon einmal gesagt.“ Was blieb ihm anderes übrig, als sich auf ein Argumentations-Pingpong einzulassen. Valérie holte gerade zum nächsten Schlag aus.
„Dabei hat es sich noch nicht einmal bewegt.“
„Ja, und weisst du, wieso es sich nicht bewegt hat, mein lieber Schatz?“
Nun schlenkerte sie schon die rechte Hand, wie das nur Französinnen hinbekamen. Noch fehlte das „Oulalala!“ Diesen Ball liess sie ins Leere laufen, also musste er weiterspielen.
„Weil es eine Puppe ist. Darum. Eine, zugegeben, sehr lebensechte Babypuppe, aber immerhin eine Puppe. Sie hat nicht mal eine Delle abbekommen. Die Puppe!“
„Und was würdest du sagen, wenn es ein echtes Baby gewesen wäre. Unser Baby, Peter?“
Er war versucht, etwas Blödes zu antworten. Aber Valérie, so zierlich sie war, hatte zum Vulkanösen nun auch noch etwas von einem Kernreaktor, der kurz vor dem Störfall stand.
„Das wird nicht passieren, Schatz. Ich werde unser Baby nicht fallen lassen.“
„Du hast eben gestern ein Baby auf den Kopf fallen lassen. Woher, um alles in der Welt, nimmst du die Gewissheit, dass du unseres nicht auch auf den Boden schmeisst?“
„Jetzt mach aber mal einen Punkt! Ich habe es nicht auf den Boden geschmissen. Ausserdem sind Babys kopflastig. Das ist wie mit Confibroten.“ Nun würgte sie wieder.
„Willst du, das ich kotzen muss?“
„Murphys Gesetz.“
„Du willst dich auf Murphys Gesetz berufen, um dich herauszureden?“
„Confibrote fallen immer auf die bestrichene Seite und Babys eben auf den Kopf. Das ist Physik.“
„Ich geb dir gleich auch Physik, pass nur auf!“
Peter zog den Kopf ein. Er hatte kürzlich irgendwo gelesen, dass gewalttätige Frauen dazu neigen, mit Dingen um sich zu werfen. Was ihm neu war, dass Valérie dazugehörte. Furios ja. Gewalttätig nein. Er sollte recht behalten. Sie legte das Messer wieder auf den Tisch. Nun hiess es, deeskalieren.
„Schau mal, Valérie!“
„Komm mir nicht mit ‚Schau mal, Valérie‘!“
„Solche Kurse sind ja dazu da, dass man etwas dazulernt.“
„Und?“
„Ich habe was dazugelernt.“
„Nämlich?“
„Man sollte nicht zu viel Öl nehmen. Das ist wie beim Kochen. Zu viel Öl ist ungesund.“
Valérie riss die Augen auf, hielt sich die Hand vor den Mund und rannte los.
By PinkStock Photos, D. Sharon Pruitt [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
