Flagge zeigen

Mit ein bisschen Logik komme ich dahinter, dass es vermutlich sechs Kategorien von Menschen gibt:

 

1. Leute ohne Keller

2. Leute mit Keller

3. Leute ohne Flagge im Keller

4. Leute mit einer Flagge im Keller

5. Leute ohne Leichen im Keller

6. Leute mit Leichen im Keller

 

Logischerweise kann man zu mehreren Gruppen gleichzeitig gehören und ich befürchte, dass die Liste noch lange erweiterbar ist. Aber die wichtigsten Haupteigenschaften sind komplett.

Ich selber gehöre zur Gruppe der Leute mit Keller, mit Flagge aber ohne Leichen.

 

Bei den Leuten mit Flaggen im Keller gibt es wiederum zwei Kategorien: jene, die Flaggen aufbewahren und die anderen, die Flaggen aufhängen.

 

Meine Schweizerfahne liegt sauber zusammengefaltet im Schrank und kommt nur zu besonderen Gelegenheiten nach „oben“ – zu den ganz seltenen Ereignissen, wenn die allermeisten Schweizerinnen und Schweizer Flagge zeigen, z.B. am 1. August. Das ist der Tag, an dem mein Nachbar jeweils mit einem Glas in der Hand eine Ansprache über den Zaun hält. Allein deswegen lohnt es sich, die Fahne ans Fenster zu hängen.

 

Man könnte die Einteilung in Kategorien natürlich noch ewig verfeinern, indem man die Lagerungs- oder Aufhängeorte unterscheidet, die Ausrichtung nach Himmelsrichtungen, oder die Flaggen ganz lapidar nach Ländern unterscheidet.

Ich will nun aber die Schubladisierung der Flaggenhalter nicht weiter auf die Spitze treiben und lieber das Beispiel eines populären Flagge-Zeigers erwähnen:

 

Oskar Freysinger – der frischgewählte Walliser Staatsrat – gehört zu jenen, die historische Flaggen von zweifelhafter Bedeutung aber ästhetischer Schönheit, aus Nachbarländern stammend an die Decke heftet. Dort, im Keller, hat er sich mit Leuten getroffen, die eine Filmkamera dabei hatten und diese auch benutzen durften. Es scheinen also keine hinterlistigen Konsumenten- oder Tierschützertricks mit versteckter Kamera angewandt worden zu sein. Recht so, den Oskar Feysinger hat schliesslich nichts zu verstecken – schon gar keine Leichen.

 

Er scheint ein Faible für Flaggen zu haben. Es ist ein gutes Jahr her, dass er ein Verbot der EU-Flagge an der EU-Botschaft in Bern forderte. Der Tagesanzeiger berichtete. Über die Gründe für seine Motion wurde viel spekuliert, aber bislang trotz intensiver Suche kein vernünftiger Grund gefunden.

 

Dank des Berichts des Schweizer Fernsehens aus dem Keller von Freysinger ist die Sache nun klar: Es ging ihm bei der Motion wegen der EU-Fahne vor allem um die Ästhetik. Fahnen müssen schön sein. Und dieses langweilige Blau mit den gelben Sternen, öde im Kreis angeordnet, ist nun wirklich nicht gerade eine Augenweide. Vorgesehen war von Anfang an, anstelle der EU-Flagge die „Reichskriegsfahne“ an der EU-Botschaft zu hissen. Dies würde, gemäss Freysinger, zum Ausdruck bringen, wer in der EU den Marsch bläst und ausserdem seine empfindlichen Augen schonen.

 

Weil der Bundesrat seine Motion ablehnte, musste Oskar Freysinger für das Designerstück ein anderes Plätzchen finden. Was lag also näher als die Decke seines Kellers?

 

Zurück zu mir: Nehmen wir nun mal an (ein stupider und zugleich verwegener Gedanke, ich gebe es zu), dass ich eben zum Regierungsrat des Kantons St.Gallen gewählt worden bin. Dann kommt das Fernsehen zu mir und ich zeige stolz meinen Keller, wo ich all die genialen Songs aufgenommen habe. Als Vertrauensbeweis öffne ich sogar die Schränke und dann, weil ich mir absolut nichts dabei denke, kommt die liederlich zusammengefaltete Schweizerflagge zum Vorschein. Ein Aufschrei geht durch die Nation:

 

Regierungsrat lässt achtlos Schweizerfahne im Keller verrotten!

 

Ein Shitstorm ungeahnten Ausmasses bricht über mich herein und mir bleibt gemäss Handbuch im Umgang mit Krisensituationen für politisch tätige Menschen nur noch zuzugeben, dass es sich hier um einen nicht beabsichtigten, in völliger Unkenntnis unerwarteter Tatsachen geschehenen Irrtum handelt und auch die Sachlage, dass neben der Fahne zufällig eine Flasche Brennsprit lagert, nicht einmal ansatzweise darauf hindeutet, dass ich heimlich mit Gleichgesinnten Schweizerflaggen verbrenne.

 

Was will ich damit sagen: Ich finde, man kann nun wirklich nicht von Oskar Freysinniger verlangen, dass er auch den dritten Satz des Wikipediaeintrags zur Reichskriegsflagge gelesen hat!

 

Wir Regierungsräte müssen zusammenhalten. Lasst den Mann in Ruhe!

 

Hintergründe von SRF gibt es hier.

 

Bild: Roland Zumbühl auf wiktionary.org

Tom Zai Verfasst von:

Tom Zai ist Autor, Verleger, Lehrer, Moderator, Musiker und noch vieles mehr.