Liebe Leserin, lieber Leser
Zusammen mit meiner 5. Klasse verbringe ich eineinhalb Wochen im Kieswerk Hagerbach in Flums.
Fahr.Werk.ö!, die rollende Theaterwerkstatt, erfindet zusammen mit den Kindern ein Freilichttheater mit wechselnden Schauplätzen – Theater in der Kiesgrube, sozusagen.
Das Gelände des Kieswerks ist ideal für spannendes und überraschendes Theater. Und der Besitzer des Kieswerks, Bruno Schnider, soll schliesslich eine entscheidende Rolle im Theaterstück übernehmen. Hier unsere Geschichte:
Die Ungeheuersuche im Hagerbach
Max Müller, Besitzer des Kieswerks in vierter Generation, hat Sorgen. Er findet seine Brille nicht, die Kaffeemaschine funktioniert nicht, weil der Strom abgestellt worden ist (weil er keine Rechnungen mehr bezahlt) und immer wieder landen Mahnungen auf seinem Schreibtisch. Und dann häufen sich Reklamationen über stinkendes Kies, das Ekzeme auslöst. Seine Sekretärin, Julia Schmidt, will zu allem Überfluss eine Gehaltserhöhung. Da taucht eine dubiose Geschäftsfrau, Mara Löwenzahn, auf. Sie will das Kieswerk, die Sekretärin und den ganzen Berg für 28 Millionen kaufen.
Zwischendurch latschen ein paar wildgewordene Indianer durch das Büro des Chefs. Sie suchen den Drehplatz, denn Chäserrugg-Pictures dreht heute ein paar Action-Szenen für diverse Filme. Nebenan treffen sich vier Freunde zum Fischen: der Polizist, der Bauer, der Jäger und der Gemeindearbeiter. Da taucht Mara Löwenzahn auf und verspricht ihnen eine Million, wenn sie das Ungeheuer im Berg erledigen. Sie mutmassen, wie viele Nullen eigentlich eine Million hat. Als sie sich sicher sind, entschliessen sie sich auf die Jagd nach dem Ungeheuer zu gehen – obwohl sie furchtbar Angst haben und eigentlich gar nichts über die Existenz eines Ungeheuers im Berg wissen. Was weiss Mara Löwenzahn, was die anderen nicht wissen? Bewacht das Ungeheuer einen Schatz?
Über dieses Ungeheuer scheint überhaupt niemand Genaueres zu wissen, mit Ausnahme der Freunde-Freunde, die geheimnisvollen Wesen, die hier seit Urzeiten leben. Sie beschliessen dem Ungeheuer zu helfen und stellen den Jägern Fallen. Die Freunde-Freunde wissen, was passiert, wenn man das Ungeheuer in seinem Schlaf stört.
Max Müller gibt dem Drängen seiner Sekretärin und Mara Löwenzahns nach. Er will den Betrieb verkaufen. Als er schon einschlagen will, stürzt Carlos Samsonite, sein Assistent (der Mann für alle Fälle!), ins Büro und hält den Chef davon ab, den grössten Fehler seines Lebens zu machen. Carlos scheint auch zu wissen, weswegen das Kies plötzlich schlecht geworden ist. Er spricht von Vergiften und weiss vermutlich auch, wer dahintersteckt. Doch verraten will er noch nichts, auch nicht über das Ungeheuer, das er in seiner Freizeit erforscht. Er deutet aber an, dass man das Ungeheuer unter gar keinen Umständen stören darf.
Zusammen mit dem Chef macht er sich auf, herauszufinden, was im Kieswerk eigentlich los ist. Plötzlich stehen sie bewaffneten Agenten gegenüber und erschrecken beinahe zu Tode. Doch es sind bloss wieder die Leute vom Film, die eine Verfolgungsjagd für den neusten Bond-Film drehen.
Die vier Dorfleute, auf der Jagd nach dem Ungeheuer, tappen in sämtliche Fallen der Freunde-Freunde. Völlig verwickelt in das Seil der Schlinge-Schlange werden sie von Max Müller und Carlos Samsonite gefunden und befreit.
Alle Dorfbewohner, die Freunde-Freunde, der Chef des Kieswerks und Carlos Samsonite sowieso sind sich einig, dass man das Ungeheuers besser ungestört lässt, ansonsten man riskiert, dass der Berg das ganze Dorf und das Tal verschüttet. Die Jagd auf das Ungeheuer wird abgeblasen.
Der Schluss – und damit zu Bruno Schniders Auftritt (er ist der wirkliche Besitzer des Kieswerks) – gehört dem Ungeheuer. In einer riesigen Baggerschaufel verschwinden Mara Löwenzahn und Julia Schmidt. Das Ungeheuer frisst nur einmal im Jahr. Dass es ausgerechnet jetzt soweit ist … Pech für die beiden Intrigantinnen. Damit kehrt endlich wieder Ruhe im Kieswerk, im Dorf und am Filmset ein.
Fahr.Werk.ö! verstehen es ausgezeichnet auf die Kinder einzugehen, zu fördern, zu motivieren, zu provozieren im besten Sinn. Sie leben das Theater. Zusammen mit uns leben sie sogar in der Theaterkulisse. Das Kieswerk bietet einfach alles, was man braucht, um Millenniumskindern den Zugang zum einfachen Leben in der Natur zu ermöglichen. Und sie steigen mühelos darauf ein. Niemand vermisst die Geräte, die mit einem i beginnen. Dafür wird Räuber und Gendarm gespielt, das in der Schweiz Räuber und Poli heisst, oder Wehrwölflis, fast vergessene Ballspiele und vieles mehr.
Am Abend sitzen viele ums Lagerfeuer. Die Theaterschaffenden vom Fahr.Werk.ö! sind auch gute Musiker. Akkordeon, Klarinette und Tuba zaubern Strassenmusikatmosphäre ins Wagencamp. Die Stimmung am Abend ist ausgelassen, bis jemand hinfällt im Halbdunkel. Die Kinder und ich, der Lehrer, wir wissen, bald ist es vorbei. Bald werden wir nicht mehr unter freiem Himmel leben. Natürlich lieben wir unser anderes Leben. Aber etwas wehmütig denken wir bereits an den Abschied vom Kieswerk.
Doch vorerst stehen uns die Aufführungen bevor. Daraufhin zielt schliesslich alles ab. Wir sind gespannt, ob es uns gelingen wird, einerseits eine fantastische Theatershow zu bieten und andererseits das freie, ungezwungene Lebensgefühl des fahrenden Theatervolks den Eltern, Grosseltern und Interessierten zu vermitteln.
Grüsse aus dem Theaterlager Hagerbach, Flums
Tom Zai
P.S.
Ich denke, es ist uns gelungen.