Ich wechsle dann mal zum „Du“. Hoffe, dass baut etwas digitale Distanz ab.
Angenommen, du bist dazu vorbestimmt, an Altersdemenz zu erkranken. Keine schöne Vorstellung. Es gibt Medikamente, die den Zerfall deines Gehirns um drei Monate hinauszögern können. Nicht gerade lange. Sprichst du allerdings zwei Sprachen einigermassen fliessend, übersteht dein Gehirn die Krankheit um weitere fünf Jahre.
Dies eine der einprägsamsten Botschaften von Manfred Spitzer in seinem Vortrag über „Digitale Demenz“. Spitzer ist ein Begriff. Er tritt im Fernsehen auf, z.B. am 9. April ’13 bei Markus Lanz im ZDF. Er kam in die Provinz, um vor Lehrkräften in einem vollbesetzten Saal zu sprechen. Ein Glücksfall, der nur dank persönlicher Beziehungen des Organisators möglich war. Ich war dabei.
Falls du ihn nicht kennst, den Manfred Spitzer, kannst du ihn „googeln“. Aber Achtung: die Chance, dass du dich an die Informationen später noch erinnern wirst, steht nicht gerade gut. Wieso nicht? Weil du es ja „googeln“ kannst. Du brauchst dir also nicht zu merken, was du gelesen hast.
Wenn ich nun den ganzen Vortrag wiedergeben würde, hätte dies vermutlich ungemein positive Auswirkungen auf mein eigenes Gehirn, das geradezu in einen Umdekorierungswahn verfallend Millionen von neuen Verbindungen bauen würde. Noch wirkungsvoller wäre vermutlich, das Thema in einen Song zu packen. 10¹⁵ Verbindungen (Synapsen) gibt es insgesamt im Gehirn. Fallen 70% davon aus, funktioniert es immer noch recht reibungslos. Je mehr wir es brauchen, desto dichter wird es. Deswegen hat die zweite Sprache auch einen so positiven Effekt.
Ich schreibe deswegen den Vortrag nicht auf, weil ich das für mich schon getan habe (siehe Mind-Map, Ha! – und für einen Song ist keine Zeit …). Für dich würde es eh absolut keinen Vorteil bieten. Du müsstest es selber machen. Damit ich mich so richtig gut an die Inhalte des Vortrags erinnern kann, habe ich die Mind-Map von Hand erstellt und mit kleinen Zeichnungen versehen. Dass die nicht so toll sind, tut der Sache keinen Abbruch. Einen Blog darüber schreiben, ist vermutlich auch OK.
Was ich bis jetzt darin geschrieben habe, ist an sich völlig unspektakulär. Spektakulär ist, was mit dem jungen Gehirn passiert, wenn es zu wenig zu tun bekommt, also zu wenig vernetzt lernt.
Seit zum Beispiel die Chinesen Computerschreiben in der 3. Klasse eingeführt haben, ist der Anteil an lese- und schreibschwachen Kindern von 10% auf 42% angestiegen. Weil die Schreibbewegung durch eine simple Klickbewegung ersetzt wird, findet weniger Lernen statt.
Dank Suchmaschinen und Copy+Paste, brauchen Schülerinnen und Schüler die Materie für ihre Facharbeit oder ihren Vortrag nicht mehr richtig zu verstehen, bekommen dafür aber unter Umständen gute Noten.
Nach Spitzer haben Baby-DVDs eine erwiesenermassen negative Wirkung aufs Gehirn und zwar doppelt so stark wie häufiges Vorlesen positiv wirkt. Obwohl man davon ausgehen muss, dass häufiger Medienkonsum Kinder und Jugendliche nachhaltig schädigt, weil ihr Gehirn nicht so verkabelt wird, wie es möglich wäre, empfehlen Minister (in Deutschland) offenbar das Spielen von Ballergames zur Bildung von Medienkompetenz. Sie gehen sogar noch weiter und halten Eltern an, es ihren Sprösslingen nachzumachen, um den Sinn des digitalen Abschlachtens zu kapieren. (siehe: Junge Freiheit)
Häufiger Medienkomsum heisst bei Kindern und Jugendlichen übrigens 7,5 Stunden im Schnitt! Die Kolleginnen und Kollegen in Amerika bringen es sogar auf über 10 Stunden in der selben Zeit. Wie geht das? Multitasking! Sind sie dadurch bessere Multitasker? Nein. Leiden sie noch eher an Aufmerksamkeitsstörungen? … Öhm …
Ach, jetzt habe ich den Faden verloren.
Nun, ich kann mir denken, dass Spitzer recht kontrovers diskutiert wird. Wie auch immer, ich sehe mich in einem Punkt bestätigt, der mich schon lange beschäftigt – nämlich immer dann, wenn ich an Menschen beim Ausführen eintöniger Arbeiten denke und ganz sicher, wenn ich am Nachmittag oder am Vorabend durch die Fernsehkanäle zappe. Es ist die Frage:
Wer profitiert eigentlich von der Verblödung der Gesellschaft?