BONI und KLEID – oder komplizierte Pluralformen
Ein Lehrer der alten Schule – nicht ganz so alt wie Friedrich Fröbel, der sozusagen den Kindergarten erfunden und heute vor 230 Jahren, also zwei Monate vor der letzten Hexentötung in der Schweiz (siehe „Hexen töten“) das Licht der Welt erblickt hatte – fand, es sei höchste Zeit, seinen 5.-Klässlern die unregelmässigen Pluralformen einzupauken. So wurde er übrigens genannt von seinen Sprösslingen: „der Pauker“. Er hatte eine Reputation und die galt es zu verteidigen, täglich.
Doch an diesem Tag ging so einiges schief. Vielleicht hätte er nicht mit dem Wort „Atlas“ starten sollen. Das hatte vermutlich die Globalisierungsgegner unter seinen Schülern angesprochen.
(Im folgenden Text sind immer beide Geschlechter mit „Schüler“ gemeint. Das widerspricht zwar den Weisungen der Schulämter, vereinfacht aber sowohl das Schreiben als auch das Lesen und entspricht ganz einfach „dem Pauker“.)
A propos „Globus“, genau dieses Wort kam als nächstes dran. Und ehe er sich’s versah, war „der Pauker“ in eine Diskussion über die globalen Handelsströme, Klimaerwärmung und eine Schweizer Warenhauskette verwickelt. Als dann Hanni Kirchmeier schlaubergerisch darauf hinwies, dass „Globuli“ auch eine anerkannte Pluralform von „Globus“ sei, man landläufig darunter aber eher die Kügelchen in der Homöopathie verstehe, wuchs „dem Pauker“ die Sache doch etwas über den Kopf und er beschloss, nun das Arbeitsblatt zu verteilen und die einführende Erklärungsphase abzukürzen. Er brauchte dringend etwas Zeit, um sich zu sammeln.
Die Schüler verstummten und schrieben pflichtbewusst und emsig die Pluralformen hinter die Singularwörter aufs Blatt. Die Formen, die sie nicht kannten, schlugen sie im Wörterbuch nach. Herbert Bader aber hatte dazu wenig Lust und so meldete er sich beim „Pauker“, als er zum ersten Mal nicht mehr weiterwusste.
„Was ist bitte die Pluralform von BONUS?“, fragte er, sobald er aufgerufen worden war.
„Bonusse oder Boni“, platzte es unaufgefordert aus Bruno Schiefer heraus, ohne das er etwas hätte dagegen tun können.
„Hast wohl gedacht Bonüsser?“, machte sich „der Pauker“ Luft. „Aber Bruno hat recht.“
„Und der Plural von das KLEID“, hakte Herbert nach, jetzt wo er den Bogen raus hatte.
„Das wirst du jetzt wohl selber herausfinden“, gab „der Pauker“ zurück. Er hatte ihn durchschaut.
Doch Hanni Kirchmeier, diese aus Sicht des „Paukers“ besserwisserische, neunmalkluge Egomanin hatte wieder ihren schwer zu ignorierenden Zeigefinger oben.
„Ja?“, lenkte er ein.
Hanni holte zu einem wahren Erklärungsmarathon aus:
„Gemeinhin würde man annehmen, dass der Plural von das KLEID die Kleider sei. Aber wenn man an Kleider denkt, meint man doch wohl eher Hosen, Pullover, Jacken und so weiter.“
„Der Pauker“ verdrehte die Augen, doch sie fuhr unbeirrt fort:
„Mit einem KLEID ist aber doch wohl eher eine Robe oder so, ein langes oder kurzes KLEID einer Dame gemeint.“ Sie hatte tatsächlich den Nerv aufzustehen und ging während ihrer Ausführungen im Zimmer hin und her. „Der Pauker“ setzte sich resigniert. Er wusste, dass sie nicht zu stoppen war, und stellte sich den Tag seiner Pensionierung vor.
„Doch der Plural von KLEID ist nun mal nicht die Kleide oder die Kleids. Deswegen wird eine Dame von Welt es auf jeden Fall so formulieren, dass klar ist, was gemeint ist. Sie wird jedem einzelnen KLEID die Bedeutung geben, die ihm zukommt. So wird sie nicht sagen, meine Kleider sind im Schrank. Sie wird vielmehr sagen, jedes einzelne KLEID, das in meinem begehbaren Kleiderschrank hängt, ist ein Markenkleid. In diesem Sinne hat das KLEID gar keinen Plural.“ Hanni blieb stehen und schaute „den Pauker“ triumphierend an.
Er wollte Zeit schinden und fragte:
„Hanni, kannst du uns vielleicht ein weiteres Beispiel geben, das deine Theorie stützt?“
Ja, das wollte sie nur zu gerne. Das konnte man ihr ansehen.
„Machen wir doch ein Beispiel zusammen mit dem Wort von vorhin! Nehmen wir an, Herbert hier bewirbt sich bei der Bank für einen Führungsposten.“ Alle grinsten dieses hinterhältige Schülergrinsen, auf das es Hanni abgesehen hatte. „Dann wird er gegen Schluss nach seinen Lohnvorstellungen gefragt. Und dann wird er nicht antworten, er hätte gerne Bonüsser für erfolgreiches Arbeiten und damit kaufe er schöne Kleider für seine Frau. Er wird sagen, er hätte gerne BONI und damit kaufe er seiner Frau jeden Monat ein schönes KLEID. BONI und KLEID, voilà.“
Damit setzte sie sich. „Der Pauker“ bedankte sich matt, hiess die Schüler weiterzumachen, verliess das Klassenzimmer, ging ins Lehrerzimmer und rief von da aus seinen Anlageberater an. Er wollte wissen, wie lange er noch arbeiten müsste, bis das Geld reichen würde für einen ausgedehnten Lebensabend.
„Wenn Sie keine Bank ausrauben wollen, müssen Sie schon noch ein paar Jahre durchhalten“, war die entmutigende Antwort des Bankers.
Resigniert schlurfte „der Pauker“ zurück zum Klassenzimmer. Kopfschüttelnd sprach er zu sich selber:
„BONI und KLEID, pah!“
Bildquelle: Wikipedia