Auffahrtsgespräch

Bundesautobahn 73 Ausfahrt Bad Staffelstein 001

 

Vater und Sohn auf der Brücke an Auffahrt:

„Tja, da fahren sie hin“, sagt der Vater zum Sohn. Die beiden sitzen auf ihren Fahrrädern und halten sich am Brückengeländer fest. Was gibt es Lehrreicheres und Spannenderes als Blechlawinen?

„Ist ja auch die Hinfahrt“, traut sich der Sohn zu bemerken. „An Auffahrt fahren die Leute weg, also hin.“

„Ja und dann fahren sie zu dicht auf. Und schon fahren sie eben hin.“

„Es heisst, ’sie gehen hin‘, Papa. Wenn Leute sterben, gehen sie hin.“

„Auch, wenn sie fahren?“

„Ja dann fahren sie ja nicht mehr, wenn sie hingehen.“

Der Vater hätte stolz auf seinen Sohn sein können. Ein kluger Kopf, doch leider hat er das Besserwisserische, um nicht zu sagen Rechthaberische, von seiner Mutter.

Und schon kracht’s, keine 100 Meter entfernt.

„Siehste? Auffahrtunfall!“ Der Vater verschränkt die Arme vor seiner Brust, reckt das Kinn und kippt beinahe vom Rad.

„Es heisst Auffahrunfall, Papa, Auffahrunfall und nicht Auffahrtunfall.“

„Wo ist denn da bitteschön der Unterschied?“ Der Vater hat das Brückengeländer gerade noch zu fassen bekommen und keine Lust auf die Spitzfindigkeiten seines Sohnes.

„Das T, Papa. Es ist das T.“

Der Vater wird langsam richtig sauer.

„Sag mal, Mister Naseweis, von wem hast du denn eigentlich die Angewohnheit, in Schrägschrift zu sprechen?“

„Hat mir die Mama beigebracht.“

Hätte er sich denken können. Ja, die Mama. Die kann auch in Grossbuchstaben. Die kann auch in Fettschrift und unterstrichen. Die kann auch mit fünf Ausrufezeichen. Die kann sogar Fragezeichen mit Ausrufezeichen. Und dann setzt sie jedes fünfte Wort in Anführungs- und Schlusszeichen.

„Vergessen wir mal Mama! Ja?“

„Okay???“

„Wie viele Fragezeichen hast du denn da gerade eben angehängt?“

„Eines?“

„Nicht flunkern!“

„Na, gut, es waren drei.“

„Hör mal!“ Er hat den Jungen nicht allzu oft. Schon gar nicht für vier Tage. Auffahrtsbrücke. „Wenn du die ganze Zeit wie deine Mutter sprichst, geht mir das auf den Zeiger. Sprechen wir wie Männer! Ja?“

„Wie du meinst.“ Der Sohn überlegt, ob er vielleicht doch hätte mitfahren sollen. Mit Mama und Georges. Doch die Mama hat ihn so bestimmt gefragt, ob der nicht viel lieber mit Papa was Tolles unternehmen möchte. Mit drei Ausrufezeichen hinter dem Fragezeichen. Er muss zugeben, dass eine Massenkarambolage kein schlechter Einstieg ins lange Wochenende ist. Vielleicht würde das ja doch was werden. „Kein schlechter Platz“, macht er einen auf gut Wetter.

„Ja, dein Papa kennt die besten Plätze. Hast du nachher Lust auf Fischen?“

„Cool!“ Nun Gimme-Five.

„Aber erst wollen wir uns die Show hier fertig ansehen. Die Amublanz steckt in der Auffahrt fest. Ich kann sie hören.“

„Es heisst an der Auffahrt“, plappert der Sohn gedankenlos. „Es heisst an, wenn ein bestimmter Tag gemeint ist. An Ostern, an Pfingsten, an Weihnachten, an Auffahrt.“

„Jetzt halt den Rand, ja?!!!“ Nun hört er sich schon selber an wie seine Ex! Die entweder noch im Stau steckt. Oder schon im Georges. Beziehungsweise umgekehrt. Beziehungsweise! Mann!

„Es ist ein Brückengeländer, Papa, nicht der Rand. Und keine Bange, ich halte mich schon fest. Ich bin kein kleiner Junge mehr.“

„Komm, wir gehen fischen!“

„Ach, können wir nicht lieber fahren?“

Vaters Stimme wird ganz sanft, als er antwortet. Aber seine Augen haben den irren Ausdruck vor dem die Mama den Jungen gewarnt hat.

„Ja, fahren wir hin. Bevor noch jemand dahingeht. An der Auffahrt!“

 

 

Bildcredits: By Janericloebe (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

 

 

Tom Zai Verfasst von:

Tom Zai ist Autor, Verleger, Lehrer, Moderator, Musiker und noch vieles mehr.